Charakter - Worauf es bei Bildung wirklich ankommtAudio CD
Mit Die Kunst, kein Egoist zu sein hat Erfolgsautor Richard David Precht in diesem Herbst die Debatte um Charaktertugenden ins Rampenlicht der medialen Aufmerksamkeit geschubst. Fast zeitgleich haben sich auch "heute"-Moderatorin Petra Gerster und ihr Mann, der studierte Theologe und Autor Christian Nürnberger, dieses Themas angenommen, wobei sie ihren Blick auf die Voraussetzung eines gereiften Charakters richten: Bildung. Verstanden nicht als Anhäufung von Wissen, sondern als umfassende Entwicklung der Persönlichkeit hin zum Guten, als Charakterbildung. Gersters und Nürnbergers Ansatzpunkt ist dabei die Technisierung und Ökonomisierung von Bildung, die sie als modernes Phänomen an den Pranger stellen: In früheren Zeiten hätte Bildung den ganzen Menschen betroffen, nicht nur sein (Fach-)Wissen, sondern eben auch seine Werte, seine Überzeugungen, seine Moral, seine Kultur, sein Rechts- und Unrechtsbewusstsein, sein Bild der eigenen Stellung in der Gesellschaft. Heute hingegen werde Bildung nur noch als wirtschaftlicher Faktor betrachtet; unsere Bildungsmisere bestehe ? abweichend von der herrschenden Meinung ? weniger darin, dass unsere Schüler und Studenten sich zu wenig Wissen aneignen, sondern vielmehr darin, dass Bildung nur noch unter dem Gesichtspunkt ihrer Zweckdienlichkeit vermittelt wird und so nicht mehr zur Charakterformung beiträgt. Doch ausgeprägte Charaktere, das ist das Credo der Autoren, braucht unser Land: reife Persönlichkeiten, deren Bildung sich nicht in technischem Expertentum beschränkt. Als Beitrag zur Bildungsdebatte hat das Buch seine Schwächen; man darf schon ein Fragezeichen setzen hinter die implizite Behauptung, für junge Menschen würden sich die Berufschancen (denn darum geht es letzten Endes ja) vergrößern, wenn sie in der Schule mehr Goethe und Theophrast gelesen hätten. Das gilt vielleicht für die Kinder des Bildungsbürgertums, denen aber in der Regel ja ohnehin genug Türen offen stehen; ob die These allgemeingültig ist, darf angezweifelt werden. Doch trotz dieser Einwände: Vieles an Gersters und Nürnbergers Thesen ist bemerkens- und bedenkenswert, und ihr Plädoyer für mehr Charakterbildung bietet eine beeindruckende Fülle an sprechenden Beispielen, in denen weniger Fachwissen und mehr Charakterstärke von Vorteil gewesen wäre. -- Christoph Nettersheim
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