Sibirien: Schlafende Erde - Erwachendes LandColin Thubron
Gebundene Ausgabe
Der englische Reiseschriftsteller Colin Thubron überquerte schon mehrmals die kontinentale Grenze im Ural, um Russland und Sibirien kennen zu lernen. Doch bei seiner letzten Reise kurz nach dem Fall des eisernen Vorhangs stellte er große Veränderungen im Vergleich zur Breschnjew-Zeit fest: "Von den Gesichtern um mich herum, da war ich mir sicher, war irgendein Schleier abgefallen. Sie waren schläfrig, aber nicht mehr verschlossen." Die alles durchdringende Angst vor dem allmächtigen Staat und dem Geheimdienst KGB, die auch Thubron am Anfang seiner Reise noch verfolgte, scheint von den Menschen abgefallen. Diese entscheidende Erfahrung fand Niederschlag im Buchtitel Sibirien: Schlafende Erde -- Erwachendes Land. Kurz gesagt handelt es sich bei dieser Lektüre um eine höchst anspruchsvolle literarische Reportage, die Vergangenheitsbewältigung und Gegenwartsbeschreibung in einem betreibt. Thubrons Leitmotiv ist die Frage, was an die Stelle des zerschlagenen kommunistischen Glaubens getreten war. Auf der Suche nach Antworten wandelt er auf den Spuren russischer Dichter, besucht die menschenverachtenden Straflager des Archipel Gulag und interviewt zahlreiche Menschen auf der Straße. Ein Arzt in einem lokalem Krankenhaus spricht die Sprache vieler: "Diese ganze Lebensweise ist am Untergehen." Der einzige Ersatz sei Wodka. Thubron zeigt aber anhand einiger Fälle, dass es sie durchaus gibt, diese Bewohner des eiskalten Sibiriens, die sich aus den Ruinen des Kommunismus aufmachen in privatere und für uns manchmal recht befremdliche Welten. Das Land befindet sich eben gerade im Erwachen. --Anna-Lena Ortelli
|