Frau ohne Begräbnis: RomanAssia Djebar
Gebundene Ausgabe
Die problematische Stellung der Frau in der islamischen Welt des Maghreb zwischen Tradition und Moderne, zwischen Rollengehorsam und Emanzipation, zwischen Schleier und Jeans -- das ist Assia Djebars großes Thema, dem sie sich in vielen wunderschönen Romanen von verschiedenen Seiten genähert hat. In ihrem jüngsten Buch widmet sie sich erstmals einer realen Person: der algerischen Volksheldin Zoulikha. Zoulikha Oudai muss eine eindrucksvolle Frau gewesen sein. Als Tochter einfacher Bauersleute geboren, emanzipierte sie sich früh von ihren Wurzeln und arbeitete in Caesarea (dem heutigen Cherchell) als Französischlehrerin. Zur Heldin einer ganzen Nation wurde sie, als sie 1957 während des algerischen Unabhängigkeitskriegs beschloss, am Kampf gegen die französischen Kolonialherren teilzunehmen. Zoulikha knüpfte nicht nur ein unvergleichliches Netz des heimlichen Widerstandes unter den Frauen der Stadt, sie wurde auch Partisanin, verließ ihren Mann und ihre vier Kinder und schloss sich einer Gruppe von Guerillakämpfern an. Zwei Jahre lebte sie versteckt in den Wäldern, bis sie 1959 von der französischen Armee gefasst und ermordet wurde -- niemand weiß, wo. Eine "Frau ohne Begräbnis", der Assia Djebar nun, Jahrzehnte nach ihrem Tod, eine Grabrede verfasst hat, wie sie bewegender kaum sein kann. Djebar erschafft einen vielstimmigen Chor von Frauen, die das Loblied auf Zoulikha singen und dabei die algerische Nationalheldin und ihre erstaunliche Geschichte lebendig werden lassen: ihre Töchter, Nachbarinnen, Mitstreiterinnen im Unabhängigkeitskampf. Auch Djebars eigene Stimme klingt mit: Zoulikhas Familie und ihre waren Nachbarn, haben in Caesarea Wand an Wand gewohnt -- ein Zufall, der sicher zum Entstehen dieses Buches mit beigetragen hat. Djebar lässt auch Zoulikha selbst zu Wort kommen: In vier fiktiven Monologen erfahren wir von Sehnsüchten und Hoffnungen, Wünschen und Träumen der Heldin. So entsteht in einer sehr eigentümlichen Mischung aus historischen Fakten und Fiktion nicht nur das Bild einer außergewöhnlichen Frau, die schon in den 1950er-Jahren einen Grad an Emanzipation durchgesetzt hatte, den man kaum für möglich hält, sondern auch das Porträt einer ganzen Generation von Frauen während des Unabhängigkeitskampfes. Frau ohne Begräbnis ist nicht nur Assia Djebars persönlichstes Buch, sondern gewiss auch eines ihrer besten. --Christoph Nettersheim
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