ParadiesGebundene Ausgabe
"Zuerst erschießen sie das weiße Mädchen. Mit dem Rest können sie sich Zeit lassen. Sie sind siebzehn Meilen vom nächsten Ort entfernt, welcher wiederum neunzig Meilen von jedem anderen Ort entfernt ist. Verstecke wird es im Kloster zur Genüge geben, aber es ist genug Zeit, und der Tag hat erst begonnen." So beginnt Paradies, der erste Roman von Toni Morrison, seit sie 1993 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Wie von der Autorin solcher brillanter Romane wie Solomons Lied, Menschenkind und Jazz zu erwarten war, ist Morrisons Paradies kühn, politisch, zutiefst spirituell und mit komplexen wie unvergeßlichen Figuren besetzt. Zeitverhältnisse sind in der Welt dieses besonderen Romans unklar. Obwohl er im Jahre 1976 spielt, wandert Morrison mühelos zwischen den Zeiten, indem sie den Leser zurück in die Vergangenheit zur Gründung von Ruby, einer schwarzen Ortschaft in Oklahoma, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs führt, und dann noch weiter zurück zur Gründung der Vorgängersiedlung Haven. Die Geschichte erinnert an die Handlung des biblischen Exodus: Eine Gruppe ehemaliger Sklaven zieht auf der Suche nach einer Heimat durch das Territorium von Oklahoma. Und über diesem starken Gespür für Personen und Orte weht ein Hauch von Übernatürlichem -- Geisterkinder huschen durch die Gänge einer verlassenen katholischen Mädchenschule und "unsichtbare Freunde" besuchen einsame Frauen in der Nacht. Dadurch, daß Morrison die Geschichte des Ortes und seiner Bewohner porträtiert, bereitet sie die Grundlage für den Konflikt, der sich in dem heutigen Teil der Geschichte zusammenbraut: Der neue Pfarrer des Ortes bringt einen Hauch der Politik mit in den Ort, welche das Amerika der damaligen Zeit bewegte -- Bürgerrechte, Studentenunruhen, Straßenkrawalle --, Aktionen, die die unruhige Jugend des Ortes ansprechen. Inzwischen ist in die 17 Meilen entfernte ehemalige Mädchenschule mit dem Beinamen "Das Kloster", eine kleine Gruppe unkonventioneller Frauen eingezogen. Ihre Geschichten werden in Kapiteln, die ihre Namen tragen, erzählt. Es sind Geschichten von Exil, Exodus und Heimkehr. Für die Männer von Ruby jedoch repräsentieren diese Frauen alles, was an der Außenwelt gefährlich ist, und als die heiligen Traditionen von Ruby zu bröckeln beginnen, machen sich neun Männer auf eine tödliche Jagd. Wie immer scheut sich Morrison nicht, die Beziehungen zwischen den Rassen und den Geschlechtern zu erforschen, und sie hat ein besonderes Talent dafür, Figuren zu schaffen, die einen immer mitfühlen lassen, selbst wenn sie nicht sympathisch sind. Paradies ist ein Buch, das Sie mehr als nur einmal lesen werden wollen, und jedesmal werden Sie etwas Neues finden, das Sie beschäftigen und in Erstaunen versetzen wird.
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