Die Kultur der Niederlage: Der amerikanische Süden 1865. Frankreich 1871. Deutschland 1918Wolfgang Schivelbusch
Book, Broschiert
Niederlagen sind für die (politische) Kultur eines Volkes vielleicht prägender als Siege. Dies hat kaum eine Nation so eindrücklich erleben müssen, wie die deutsche, die nach dem Zweiten Weltkrieg gleich zwei von den alliierten Siegermächten geschlagene politisch-kulturelle Entwicklungspfade beschritten hat. Wolfgang Schivelbusch, der mit seinen kulturgeschichtlichen Studien über Die Geschichte der Eisenbahnreise, der elektrischen Beleuchtung und jener der Gerüche bekannt geworden ist, untersucht in seinem neuen Buch drei klassische Niederlagen auf ihre psychohistorischen Folgen hin -- die Niederlage der Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg 1865, diejenige Frankreichs im Krieg gegen Deutschland 1871 und schließlich die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg 1918. Schivelbuschs kulturgeschichtlicher und -psychologischer Impetus verlangt, auch die Niederlagenkultur in das Scheinwerferlicht einer Totalperspektive zu zwängen. Doch wer zusammenstimmende Muster sichtbar machen will, der muss die richtige Vorauswahl treffen. Und wohl daran liegt es, dass der Autor den Ersten und nicht den Zweiten Weltkrieg, den amerikanischen Bürgerkrieg und nicht Vietnam als Untersuchungsgegenstände gewählt hat. Hierin mag eine Schwäche der Arbeit liegen, in deren Titel das "Die" vielleicht ein wenig zu hoch greift. Doch all dies ändert nichts daran, dass wir dem Autor auch diesmal wieder ein äußerst inspirierendes Lese- und Bildungserlebnis verdanken. Zum Beispiel auch den brillanten Exkurs "Der Tanzboden der Inflation und die Girlmaschine". In Zeiten existenzieller Bedrohung hat es in der Geschichte immer wieder kollektiv-pathologische Ausbrüche obsessiven Lebensgenusses gegeben. Von wahren Tanzepidemien wird bereits im Mittelalter berichtet. Auch nach dem Ersten Weltkrieg war das nicht anders. Dass es zudem kein Zufall ist, was denn jeweils in welcher Krise getanzt wird, zeigt uns der Autor im Blick auf die deutschen Tanzböden der 20er-Jahre, auf denen die amerikanischen Importe Jazz und Shimmy dominierten. An anderer Stelle ist dem Autor vorgeworfen worden, dem Leser hier "unverdünnten Unfug" zu servieren (Franziska Augstein in der SZ). Das ist natürlich selbst blanker Unfug! Im Gegenteil geben gerade die beiden Exkurse am Ende des Bandes dem Leser die Gewissheit, seine Lesezeit nicht verschwendet zu haben. --Andreas Vierecke
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