Das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen
Bei der Geschichte handelt es sich natürlich um eine Allegorie, eine Geschichte mit einer übertragenen Bedeutung, ähnlich einer literarischen Parabel.
Jesus wollte damit sagen, dass man sein Leben auf das Kommen des Reiches Gottes einstellen soll, auch wenn man nicht weiß, wann es kommt. In welches weltliche Geschehen die spirituelle Bedeutung im übertragenen Sinn gestellt wird, sagt jedoch viel über die damalige Zeit und den Erzähler aus.
Bemerkenswert an der Geschichte ist, dass zehn Jungfrauen auf einen Bräutigam warten. Liest man als Mitteleuropäer über die Stelle einfach so hinweg, geht man unbewusst davon aus, dass er sich vielleicht eine aussuchen wollte. Moderne christliche oder kirchlich-naive Deutungen sprechen von Jungfrauen, die einen Bräutigam zu seiner Hochzeitsfeier mit einer (anderen) Braut abholen und begleiten sollten. So erzählt man es auch im Kindergottesdienst.
In die Zeit vor 2000 Jahren gestellt, kann man die Geschichte aber auch so deuten, dass er durchaus alle zehn zur Frau nehmen wollte. Weil fünf von ihnen so töricht waren, kein Reserve-Öl für ihre Lampen mitzunehmen, also eine Verspätung des Mannes einzukalkulieren, nahm er nur die fünf klugen zu Ehefrauen. Dann zeigt die verblüffende Selbstverständlichkeit, mit der Jesus die Geschichte erzählt, wie sehr wir Europäer unser Jesusbild verwestlicht haben und die biblischen Gestalten unbewusst in unsere Zeit stellen. Polygamie (Vielehe) war auch zu Zeiten Jesu völlig selbstverständlich!
Gleichnisse
sind übrigens keine Erfindung Jesu. Schon der
Philosoph Sokrates benutzte sie gerne als rhetorisches Element auf dem Marktplatz von
Athen. Gleichnisse finden sich auch im
Judentum häufig in
Talmud und
Midrasch und wurden von Rabbinern benutzt, um die Schriftauslegung einfachen Menschen mit stilisierten Elementen aus dem Alltag zu erklären.