Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen KapitalismusRichard Sennett
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Wie sehr sich die Arbeitswelt zu Beginn des 21. Jahrhunders verändert hat, zeigt sich schon am Sprachgebrauch. Erst wurden aus Berufen Jobs, und nun sind Jobs bereits zu "Arbeitsfeldern" oder "Projekten" mutiert. Langfristige berufliche Bindungen vermitteln diese Begriffe nicht mehr. In der schönen neuen Welt des globalisierten Kapitalismus und seiner verschlankten Unternehmensstrukturen steht jeder Arbeitsplatz, auch der des Managers, zur Disposition. In dieser Situation ist das neue Leitbild, so der amerikanische Soziologe Richard Sennett, die reaktionsschnelle, anpassungsfähige Persönlichkeit: Der flexible Mensch, wie sein neuestes Buch mit deutschem Titel heißt. So viel Gewinn an beruflicher Eigenverantwortung und professioneller Selbstbestimmung Angestellten und Arbeitern über Entbürokratisierung und Enthierarchisierung versprochen wird, so hoch ist ihre Verlustrechnung am Ende. Denn statt Eigenverantwortung gibt es tatsächlich vor allem einen massiven Kontrollverlust hinsichtlich Karriere und Lebensplanung. Er drückt sich darin aus, dass es für die Betroffenen unmöglich geworden ist, ihr Leben in einer Geschichte zusammenzufassen, in der die Mühen und Plagen des Alltags ebenso wie seine Erfolge, einen nachvollziehbaren Sinn ergeben. Sennett, der Anfang der achtziger Jahre mit Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität international Furore machte, hat sich für seinen Essay durchaus in der Arbeitswelt umgeschaut. Das Beispiel eines eingewanderten Hausmeisters und seines erfolgreichen Sohnes, der Fall einer Großbäckerei in Boston und seine Gespräche mit einigen von IBM in den 90er Jahren entlassenen Programmierern lassen ihn seine These zur problematischen Natur der Entwicklung anschaulich exemplifizieren. Der flexible Mensch ist, so lautet Sennetts These, nicht mehr in der Lage, individuellen Charakter auszubilden. Denn dafür bedürfte es langfristiger Verbindlichkeiten und Loyalitäten, erzählbarer Lebensgeschichte. Paradox genug: Auch wenn die anderen aus dem Patchwork ihrer Stellenwechsel und Kurzkarrieren keine Geschichte zustande bringen, Sennett selbst hat darüber in seinem knappen, anekdotenhaft und ausgesprochen lesbar geschriebenen Essay viel zu erzählen. --Brigitte Werneburg. Amazon.de. Richard Sennett, der in seiner berühmten Abhandlung über die Tyrannei der Intimität den Verfall der Öffentlichkeit untersuchte, hat eine kleine Studie über einige Phänomene kapitalistischer Charaktere vorgelegt. Im Zentrum seiner Untersuchung steht der Begriff der Flexibilität. Flexibilität gilt als Rezeptur der neuen Unternehmen, zugleich als Charakterqualität des karrierebewusst Handelnden. Täglich werden die Mythen erfolgreicher Unternehmer, Jungmanager, Entrepreneurs der frühen Stunde erzählt. Silicon Valley, Microsoft oder Intel gelten als die Ikonen des schnellen Erfolgs. Aus Ludwig Erhards Wirtschaftswunderphilosophie "Wohlstand für alle" wird ab jetzt "Reichtum für jedermann". Traditionsunternehmen, die in Generationen denken, sind out. Der Zahltag soll sich spätestens nach einigen Jahren einstellen. Loslassen können von gestern neuen, heute antiquierten Produkten, radikale Führungsqualitäten, globales Netzwerkdenken, virtuelle Unternehmensphilosophien werden zum Gebot des rasenden Zeitgenossen. Lebenslanges Lernen, der permanente Erwerb von Erfahrungen wird in den inzwischen klassisch gewordenen Unternehmenskonzeptionen beschworen. Übersehen wird dabei, dass eben nicht neues Wissen auf altes gesetzt wird, sondern die Software des Bewusstseins oft komplett ausgetauscht werden muss. Sennett zeigt die gefährlichen Fallstricke, in denen sich die Erfolgszwangsgeplagten verfangen, weil sie immer weniger auf ihr Wissen vertrauen dürfen, aber zugleich die Furcht vor neuen Ansätzen wächst. So werden Erfolgsgeschichten projiziert, ohne dass die Handelnden auch die persönlichen Voraussetzungen mitbringen, die unabdingbar für den schnellen Erfolg sind. Bereits der Aufbruch in das Wunderland der schnellen Dollars gilt als Erfolg, auch wenn der Absturz kurz darauf folgt. Die Gläubigen des rasanten Kapitalismus stoßen auf diffuse Produktions- und Distributionsstrukuren, in denen altes Erfahrungswissen wenig zählt und deren Vorhersehbarkeit ausgeschlossen ist. Es entsteht eine Unternehmenskultur der Oberflächlichkeit, die vom Gewohnheitstier Mensch, der auf die Kontinuität sozialer Beziehungen angewiesen ist, nicht verkraftet wird. Loyalität zum Unternehmen wird zu einem raren Gut, das sich keiner mehr leisten kann, der zu seinem Karrierezenit surft. Sennett zeigt aber, dass Enthierarchisierung alles andere als Orientierungssicherheiten schafft. Unternehmen entstehen und vergehen, hinterlassen werden Orientierungslose -- Strandgut des hyperflexiblen Kapitalismus. Corrosion of character lautet denn auch der amerikanische Originaltitel, der die Folgen übereilten Wirtschaftens, der Demontage klassischen Unternehmertums besser fasst als der deutsche Übersetzungstitel. Im Verweis auf die Statistiken zeigt Sennett, dass die Fetische des neoliberalen Kapitalismus Ungleichheiten verstärken, eine kleine Gruppe von Siegern und ein Heer von ausgebrannten Verlierern produzieren. "The way out" wäre -- für die Ideologen des schnellen Wirtschaftens unerträglich -- das Beharrungsvermögen, die Nichtbereitschaft sich auf eine wildgewordene Wirtschaft einzulassen. Sennetts Analyse trifft ins Herz der euphorischen Managementbeschwörungsliteratur und macht deutlich, dass "positive thinking" oft nur der Auftakt des Abgesangs ist. Fraglich bleibt aber, ob die neuen Strukuren auf der Ebene des Individuums überhaupt lösbar sind, oder es nicht unabdingbar wird, Wege aus dem ruinösen Kasinokapitalismus zu finden. Weder der Neoliberalismus noch eine autoritäre Wirtschaftsdiktatur erscheinen geeignet, eine global vernetzte Wirtschaft wieder auf Menschenmaß einzurichten. --Goedart Palm
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