Der Untergang des Morgenlandes: Warum die islamische Welt ihre Vormacht verlorBernard Lewis
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Während sich das nicht nur von Oswald Spengler düster beschworene Menetekel vom Untergang des Abendlandes bis heute nicht erfüllt hat, ist der Untergang des Morgenlandes eine unübersehbare Tatsache. Und dies, obwohl die islamische Welt dem Westen bis ins späte Mittelalter sowohl kulturell als auch militärisch und machtpolitisch überlegen war. "Der Islam verfügte über die größte Militärmacht weltweit -- seine Armeen fielen gleichzeitig in Europa, Afrika, Indien und China ein. Er war die bedeutendste Wirtschaftsmacht der Welt und unterhielt ausgedehnte Handelsbeziehungen und Verbindungen zu Asien, Europa und Afrika. Der Islam hatte im Hinblick auf die Künste und Wissenschaften das höchste kulturelle Niveau in der Geschichte der Menschheit erreicht. Man hatte das Wissen und die Fertigkeiten des antiken Nahen Ostens, Griechenlands und Persiens übernommen und außerdem wesentliche Innovationen von außen eingeführt, so zum Beispiel aus China die Herstellung und Verwendung von Papier und aus Indien das Dezimalsystem.". Und dennoch: "Irgendwann ging auf einmal alles schief", heißt es ebenso flapsig wie überaus treffend im Klappentext zu Bernard Lewis' luzider Studie. In ihr zeigt der britische Historiker und Princeton-Emeritus die überraschenderweise gar nicht so vielfältigen Gründe dafür auf, warum die islamische Welt ihre Vormachtstellung verlor, und zugleich, worin die Ursachen für den Aufstieg des Abendlandes liegen. Als einen der zentralen Unterschiede zwischen der islamischen und der christlich geprägten politischen Kultur macht der Autor das vollkommen anders geordnete Verhältnis von Religion und Politik aus. Was mancher als Stärke des Islam missdeuten mag -- dass nämlich geistliche und weltliche Macht nicht voneinander zu trennen sind und im Zweifelsfall nach wie vor das Primat der Religion als unumstößlich gilt -- markiert Lewis zufolge in Wirklichkeit die entscheidende Schwachstelle der islamischen Kultur. Umgekehrt ist für ihn die entscheidende Stärke der christlich geprägten Kultur des Westens das Primat der Politik und die Trennung von Staat und Kirche sowie von Kirche und Wissenschaft -- beides eine (schon früher gesäte) Frucht der blutigen Religionskriege des 16. Jahrhunderts. Bernard Lewis' neues Buch zeigt einmal mehr, weshalb er zu den literarischen Großmeistern der Historikerzunft gehört. Seine glänzend strukturierte Analyse besticht durch ihre Klarsicht ebenso wie durch ihre wohl temperierte Sprache. --Andreas Vierecke
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