Marca Lanzarote - Ansätze des Nachhaltigen Tourismus in Spanien am Beispiel LanzaroteSusanne B Will
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Einleitung: Der Tourismus ist eines der wichtigsten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Phänomene des 20. Jahrhunderts. Aus den Kultur-, Kavaliers- oder Bildungsreisen der wohlhabenden und gebildeten Oberschicht ist inzwischen eine Massenbewegung von über 600 Millionen Menschen jährlich geworden, die der Weltwirtschaft 1998 Einnahmen in Höhe von 445 Milliarden US $ bescherte und derzeit mehr als 200 Millionen Arbeitsplätze (also jeden neunten) bereitstellt. Mit diesen Werten ist der Fremdenverkehr heute neben der Erdöl- und Automobilindustrie der potenteste Wirtschaftsfaktor der Erde, der, würde es sich um ein Land handeln, das drittreichste der Welt wäre. Auch in Zukunft, so prognostiziert die Welttourismusorganisation (WTO), ist mit jährlichen Zuwachsraten von voraussichtlich 4,1-6,1 % zu rechnen, so dass im Jahr 2020 schätzungsweise anderthalb Milliarden Reisende mit mehr als zwei Billionen US $ zur globalen Bruttowertschöpfung beitragen werden. Die Entwicklung des Tourismus vom Luxusbedürfnis zum Massenbedürfnis ist nicht nur auf die Zunahme der arbeitsfreien Zeit bei gleichzeitigem Anstieg der Löhne zurückzuführen. Eine elementare Rolle kommt der Verschiebung der Prioritäten vom Materiellen zum Immateriellen zu, die dazu geführt hat, dass Freizeit, Selbstverwirklichung und Prestige heute für viele Menschen genauso wichtig sind wie Arbeit und Geldverdienen. Tatsächlich ist der gesellschaftliche Stellenwert von Reiseaktivitäten in den vergangenen Jahrzehnten stark angestiegen. Aber auch die vermehrte Stressbelastung am Arbeitsplatz und im Alltag haben dazu beigetragen, dass zunehmend mehr Menschen nach dem Motto Urlaub vom Ich' immer öfter und weiter reisen möchten. Möglich geworden ist dies jedoch erst mit der intensiv voranschreitenden internationalen Vernetzung durch neue Transportmittel, die Distanzen dahinschmelzen und die Welt immer enger zusammenrücken lassen. All diesen Faktoren ist es zu verdanken, dass Menschen ihrem ureigenen Bedürfnis nach Abwechslung, Abenteuer und Veränderung nachgeben können und auf diese Weise das Reisen zu einem wichtigen Bestandteil des Lebens geworden ist. Das Phänomen des Massentourismus ist wirtschaftlich, sozial und ökologisch von enormer Tragweite. Neue Arbeitsplätze entstehen, das Einkommen der Bevölkerung steigt an und damit die soziale Sicherheit. Räumliche Disparitäten können ausgeglichen und die Infrastrukturen bedeutend verbessert werden. Tourismus fördert den sozialen Aspekt des Kennenlernens, den Austausch zwischen den Kulturen und trägt möglicherweise zu einem toleranteren Verhalten gegenüber anderen Nationen bei. Die millionenfache Mobilität der Menschen und der Reiseverkehrsmittel hat jedoch auch viele Schattenseiten, die mit dem Ansteigen des Touristenstroms weltweit immer gravierender und alarmierender werden. Tourismus schafft zwar Arbeit, zerstört jedoch gleichzeitig die Natur vor allem durch den enormen Flächenbedarf (Hotels, Restaurants, Flughäfen, Straßen, Badebuchten, Wanderwege usw.) und die hohen Emissionen, die durch Flugzeuge, Fahrzeuge oder Schiffe entstehen und zur Zerstörung der Ozonschicht beitragen. Hinzu kommen Umweltprobleme in Form von Erosion, Lärm, Müllberge, die Überlastung der natürlichen Ressourcen Wasser, Energie und Boden und des gesamten Ökosystems etc. Tourismus bringt erhöhten Wohlstand und soziale Absicherung, kostet die Bereisten aber im Gegenzug oft das Selbstwertgefühl, die kulturelle Identität und vor allem die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Dies geht so weit, dass ein Einbruch in der touristischen Entwicklung für einige Urlaubsgebiete und Entwicklungsländer den wirtschaftlichen Kollaps bedeuten würde, da traditionelle Berufe durch den Fremdenverkehr vollkommen verdrängt worden sind. Auch der Aspekt der Völkerverständigung ist zweischneidig, zumal gleichzeitig oftmals eine Polarisierung zwischen den Reisenden und den Bereisten entsteht und auf diese Weise Vorurteile eher vertieft denn abgebaut werden. Häufig ist heute die Rede von der Ausbeutung der Urlaubsländer, gerade der ärmeren. Sextourismus und Kinderarbeit sind nur zwei ihrer Ausprägungsformen. Die Kosten dieser Negativfolgen und Fehlentwicklungen für die Umwelt, das Sozialgefüge und die Wirtschaft können nicht quantifiziert werden, sie sind jedoch enorm und drohen, den Fremdenverkehr seiner eigenen Grundlagen (landschaftliche Schönheit, Andersartigkeit der Kulturen, ungefährliches Sonnenbaden u.ä.) zu berauben. Die international führenden Fremdenverkehrsorganisationen wie die WTO oder der World Travel & Tourism Council (WTTC) haben dies erkannt und erklärt, das Tourismus im herkömmlichen Sinne nicht mehr länger haltbar ist. What is needed is a formula to protect the environment, ensuring that tourism benefits the local population and helps preserve the cultural heritage of destination countries. Die Ausrichtung des Reiseverkehrs an den Kriterien der sogenannten Nachhaltigkeit gilt als die große Herausforderung für die Tourismusbranche im neuen Jahrtausend. Die Idee der Nachhaltigkeit bzw. sustainability, auf die Kapitel II der Arbeit ausführlicher eingehen wird, besagt, dass to be sustainable, development must improve economic efficiency, protect and restore ecological systems, and enhance the well-being of all peoples. Übertragen auf den Fremdenverkehrssektor bedeutet dies, dass Reisen künftig ökologisch tragbar, sozial gerecht, kulturell rücksichtsvoll und wirtschaftlich rentabel sein soll, um gleichermaßen den Bedürfnissen der gegenwärtigen als auch der zukünftigen Generationen von Reisenden und Bereisten gerecht zu werden. Nachhaltigkeit im Fremdenverkehr impliziert folglich, dass die durch Tourismus entstandenen Schäden behoben werden und ein Richtungswechsel im Denken und Handeln der Verantwortlichen stattfinden muss, um die beschriebenen Negativeffekte fortan von vornherein zu vermeiden. Auch Spanien, das zu den meistbesuchten Ländern der Erde zählt, will sich dieser neuen Herausforderung stellen. One of the major challenges now confronting the Spanish economy is to successfully apply sustainability criteria and introduce the necessary changes, without damaging the tourist industry as a whole, ist in der neuesten Publikation der spanischen Regierung unter dem Titel España: un turismo sostenible - Spain: A Sustainable Tourism' zu lesen. Tatsächlich hat die öffentliche Verwaltung des Landes bereits auf verschiedenen Ebenen Maßnahmen ergriffen und Projekte ins Leben gerufen, die auf mehr Nachhaltigkeit im spanischen Reisesektor abzielen. Welche grundliegenden Ansätze für Nachhaltigen Tourismus in der Fremdenverkehrspolitik des Landes in jüngerer Zeit erkennbar sind und wie staatlich initiierte Nachhaltigkeitsprojekte in Spanien aussehen können, wird in knapper Form in Kapitel III dieser Arbeit dargestellt. Im Mittelpunkt der anschließenden Ausführungen wird das konkrete Beispiel der kanarischen Urlaubsinsel Lanzarote stehen, die im Bereich des Nachhaltigen Tourismus nach Aussage der Landesregierung, der WTO und anderer Organisationen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene eine Sonderstellung einnimmt: El modelo de desarrollo turístico seguido en la isla de Lanzarote posee notas singulares, que lo hacen distinto y merecedor del reconocimiento internacional. Nicht nur in der Fachliteratur, sondern ebenso in Reiseführern, Tageszeitungen oder dem Internet finden sich deutliche Hinweise auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der MARCA LANZAROTE (dem Markenimage' der Insel) und der sostenibilidad (Nachhaltigkeit'). Dies bestätigt die lange Reihe von Auszeichnungen und Titeln, auf die Lanzarote verweisen kann. Wie Kapitel IV zeigen wird, sind sie der Insel innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte in Anerkennung ihrer Bemühungen um eine andersartige Form der touristischen Erschließung verliehen worden. Genannt seien nur einige: im Jahr 1991 der Drago de Oro von der WTO, der OECD und der Kanarischen Regierung; 1993 die Ernennung zum Biosphärenreservat der UNESCO; 1994 der Titel experiencia piloto de desarorollo sostenible' von Seiten der Unión Mundial para la Naturaleza und schließlich 1996 im Rahmen der UNO-Ausschreibung Habitat II die Einstufung Lanzarotes als buena práctica' im Bereich Raumnutzung und Urbanisierung. Die Fragen, die sich daraus ableiten lassen und die in Kapitel IV und V dieser Arbeit aufgegriffen und beantwortet werden, sind folgende: - Wie ist die touristische Erschließung Lanzarotes tatsächlich verlaufen? - Wie ist das Markenimage der Insel entstanden, und wie sehen die Ansätze des Nachhaltigen Tourismus dort im einzelnen aus? - Wie ist Lanzarote in den gesamtspanischen Kontext einzuordnen (welche Gemeinsamkeiten mit anderen spanischen Urlaubsinseln gibt es, wo liegen die Besonderheiten)? - Ist Lanzarote tatsächlich ein Vorbild für Nachhaltigen Tourismus im spanischen und internationalen Fremdenverkehr? Im Rahmen der letzten Frage werden die Ergebnisse der Interviews miteinbezogen, die ich im Mai 1999 auf Lanzarote mit Vertretern der öffentlichen Verwaltung und verschiedenen NGOs geführt habe. Ein Ausblick auf die Zukunft Lanzarotes schließt die Ausführungen ab. Ziel der Arbeit ist es folglich, die Idee des Nachhaltigen Tourismus in ihren Grundzügen vorzustellen und zu beschreiben, inwieweit Ansätze hierfür in Spanien allgemein und auf der Kanareninsel Lanzarote im besonderen vorhanden sind. Dabei soll auch auf die jeweilige Kritik an den Maßnahmen eingegangen und eine Kontrastierung zwischen Theorie und Praxis vorgenommen werden, sofern dies möglich ist. Für das bessere Verständnis der Arbeit sei darauf hingewiesen, dass das verwendete Zahlenmaterial eher als Richtwert denn als konkrete Größe zu verstehen ist, da die Angaben in der verwendeten Literatur entweder erheblich differieren, sich widersprechen oder unvollständig sind.
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