Die Kreuzabnahme Jesu

Felsrelief an den Externsteinen

Das Felsenrelief von der Abnahme Jesu vom Kreuz an den Externsteinen

soll die älteste aus massivem Fels gehauene Steinmetz-Großplastik nördlich der Alpen sein. Die Zeit der Herstellung ist allerdings umstritten. Johann Wolfgang von Goethe glaubte byzantinische Einflüsse zu erkennen und ordnete die Entstehung in die karolingische Zeit ein. Eine Inschrift im Inneren der Grotte und eine Urkunde des Klosters Abdinghof von 1093 weisen allerdings auf die Zeit der Kreuzzüge hin. Bei beiden könnte es sich jedoch um Fälschungen aus dem 19. Jahrhundert handeln, so dass manche doch eine Entstehungszeit zwischen 816 und 822 annehmen.  Roland Linde Bücher spricht in seinem Essay Die Externsteine – Ein Natur- und Kulturdenkmal im Spannungsfeld von Esoterik, Neuheidentum und Wissenschaft von »Künstlern des späten 12. Jahrhunderts«, ebenso Jürgen Krüger in Die Externsteine - Zwischen wissenschaftlicher Forschung und völkischer Deutung. Diese Einordnung im späteren Mittelalter halte ich für die wahrscheinlichste.
Felsrelief der Kreuzabnahme Jesu an den Externsteinen

Maria, Jesus und Josef von Arimathäa

Links trägt Josef von Arimathäa den Leichnam Jesu auf der Schulter, nachdem ihn Nikodemus, rechts davon, vom Kreuz gelöst hat. Maria (ganz links) stützt den Kopf von Jesus und neigt sich zu ihm hin. Nach den heute gebräuchlichen Bibeltexten handelt es sich eindeutig um die Mutter Maria. Kurz vor Jesu Tod standen jedoch nach Vers 25 bei dem Kreuz drei Marias (Marien). Die Mutter Maria, deren Schwester, die offenbar auch Maria hieß, und Maria Magdalena (Maria von Magdala).

Wenn man berücksichtigt, dass die Geschichten der Evangelien über Jahrzehnte nur mündlich überliefert wurden und es dann verschiedene schriftliche, durchaus abweichende, Versionen gab, von denen erst am Ende des 2. Jahrhunderts, also mindestens 150 Jahre nach Jesu Tod, je eines offiziell ausgewählt wurde, ist eine Verwechslung der vielen Marias und Johannes nicht unwahrscheinlich. Heute weiß man, dass Zeugenaussagen schon nach kurzer Zeit von der objektiven Wahrheit abweichen, und die Auswahl der "richtigen" Schriften über hundert Jahre später erscheint doch recht willkürlich.
Maria, Jesus und Josef von Arimathäa
Josef von Arimathäa trägt den Leichnam Jesu und Maria stützt seinen Kopf
In den Versen 26 und 27 sieht Jesus bei seiner Mutter den Jünger, den er lieb hatte, und sagt zu ihr »Siehe, das ist dein Sohn!«, und zum Jünger Johannes »Siehe, das ist deine Mutter!«. Nimmt man das einfach so, wie es dasteht, wäre Johannes der Bruder Jesu, was eindeutig nicht der Fall ist. Die Theologen behaupten, das wäre nur im übertragenen Sinne gemeint und Jesus wollte nur seine Mutter von Johannes versorgt wissen.

Für diese Aussagen gibt es weitere spirituelle theologische Interpretationen, zum Beispiel von der Schaffung einer neuen geistlichen Familie und Hinweise auf die gegenseitige Verantwortung der Christen. Manche katholische Theologen sehen hier den Ursprung der Legende von Maria als Mutter aller Gläubigen was mit der Bibel nichts mehr zu tun hat und entweder Legendenbildung oder schon zielgerichtete Verfremdung ist, fortgesetzt in der Apostelgeschichte und den Paulusbriefen bis hin zu der kirchlichen Machtpolitik des Mittelalters.

Um welche Maria es sich bei Evangelium des Johannes, Kapitel 19, Vers 25 bis 27 handelt, seine Mutter oder Maria Magdalena, darüber kann man durchaus streiten. Maria Magdalena könnte auch die Lebensgefährtin Jesu gewesen sein. Manche behaupten, sie hätten einen Sohn gehabt, und in manchen Gegenden werden Höhlen und ähnliches verehrt, in denen sie nach ihrer Flucht aus Israel mit ihrem Sohn lebte, zum Beispiel in Südfrankreich:  Saint-Maximin-la-Sainte-Baume.

Maria Magdalena

Nimmt man nun an, dass Jesus in Vers 26 nicht zu seiner Mutter Maria, sondern zu seiner Lebensgefährtin  Maria Magdalena spricht, sind keine umständlichen theologischen Erklärungen nötig. Johannes wäre dann der Sohn von Jesus und Maria Magdalena. Daraus erklärt sich viel einfacher und nachvollziehbarer, dass »Jesus Johannes lieb hatte«, und warum viele Künstler früher dicht bei Jesus einen jugendlichen Johannes malten, manchmal auch eine Frau, anscheinend seine Lebensgefährtin. Offen aussprechen durften sie das nicht, weil die Inquisition auch in der Neuzeit noch lange aktiv war, so haben sie es in Gemälden heimlich angedeutet. Was die objektive Wahrheit ist, können wir nicht sicher wissen. Man kann es glauben, oder auch nicht.

Der Evangelist Johannes

In dem Relief ganz rechts steht ein Evangelist mit einem Buch in der linken Hand. Diese Figur wird meist als der Evangelist Johannes gedeutet, allerdings fehlt ein eindeutiges Erkennungszeichen. In der Bibel ist an mehreren Stellen die Rede von einem Jünger, den Jesus liebte. Früher wurden der Evangelist Johannes und der Lieblingsjünger Jesu oft gleichgesetzt, was man heute eher ablehnt. Im Evangelium des Johannes steht in Verbindung mit dem Jünger, den Jesus liebte kein Name, er bleibt anonym.

Heute identifiziert man diesen meist mit einem anderen Johannes, nämlich dem Sohn des Fischers Zebedäus. Damit wäre er der Bruder dessen zweiten Sohnes, Jakobus. Viele Künstler haben ihn auf Gemälden jugendlich oder androgyn dargestellt. Auf dem Relief steht da aber ein älterer bärtiger Mann mit Buch, weshalb wahrscheinlich doch der Evangelist Johannes gemeint ist. Johannes war eben auch ein häufiger Name und man kann in manche Bibelstellen vieles hineininterpretieren. Der Evangelist Johannes und "der Jünger Johannes, den Jesus lieb hatte" waren wahrscheinlich nicht die gleiche Person.
Der Evangelist Johannes im
Kreuzabnahme-Relief an den Externsteinen
Der Evangelist Johannes im Kreuzabnahme-Relief an den Externsteinen

Nikodemus

Vom Betrachter gesehen rechts des vertikelen Kreuzbalkens steht Nikodemus, der Jesus vom Kreuz gelöst hat. Er steht auf etwas, das ich erst für einen seltsamen Stuhl hielt. Um Jesus vom Kreuz abnehmen zu können brauchte er ja auch etwas, um hinaufzukommen. Der Laienforscher Wilhelm Teudt vermutete 1929 darin eine gebeugte Irminsul, auch Irmensul oder Irmensäule. Sie symbolisierte in der germanischen Mythologie den Weltenbaum und entspricht etwa der Weltesche Yggdrasil aus der Edda und dem immergrünen Kultbaum der Wikinger am Tempel in Uppsala. Diese These wird jedoch heute stark angezweifelt. Teudt versuchte überall germanische Symbole hineinzuinterpretieren. Nach einem Schemel oder einer Trittleiter sieht es aber tatsächlich nicht aus, und dass in einem christlichen Relief eine biblische Person ein heidnisches Symbol mit Füßen tritt, ist ebenfalls nachvollziehbar.

Nach der Bibel hat allerdings Josef von Arimathäa Jesus vom Kreuz abgenommen und Nikodemus hat den Leichnam dann großzügig mit wohlriechenden Salben aus Myrrhe und Aloe behandelt und traditionell in Leinentücher gewickelt. Beide legten sie den Leichnam in ein Grab, das Josef von Arimathäa gehörte. Beide rechnet man zu den Pharisäern, mit denen Jesus befreundet war.

War Jesus nur scheintot?

Die letzten Worte von Jesus werden in den Evangelien verschieden wiedergegeben. Im Evangelium des Johannes, Kapitel 19, Vers 28 bis 30, sagt er »Mich dürstet!« Darauf tauchten die römischen Soldaten einen Schwamm in ein Gefäß mit Essig, steckten ihn auf einen Ysopstängel und hielten ihn Jesus an den Mund, worauf er sagte »Es ist vollbracht!« und starb.

Es gibt Theorien, wonach Nikodemus oder Josef von Arimathäa ein Betäubungsmittel in den Essig gegeben hatten, so dass Jesus tot erschien, aber nur bewusstlos war. Den Scheintoten Jesus legten sie in das Höhlengrab und pflegten ihn in drei Tagen wieder gesund, wodurch er "auferstehen" konnte. Für weltlich-physikalisch denkende Menschen klingt das logisch und nachvollziehbar. Weitere schriftliche Anhaltspunkte als die geheimnisvolle Szene mit dem Essigschwamm gibt es nicht, allerdings ist das auch die beste biologische, nicht spirituelle, Erklärungsmöglichkeit.

Pharisäer

Nikodemus war ein Schriftgelehrter, ein Pharisäer. Diese waren im Judentum Theologen und Philosophen, auch mit politischem Einfluss. Der Begriff Pharisäer wird bei uns als negativ angesehen, da Jesus oft mit diesen in Konflikt geriet. Sie vertraten die traditionelle Auslegung der Thora (Tora) und des gesamten Tanach, die heiligen Schriften der Juden. Jesus hingegen vertrat oft fortschrittlichere, fast revolutionäre Meinungen. Allerdings zählten manche

liberal denkende Pharisäer

auch zu Jesu Freunden und Gönnern, wie zum Beispiel Simon von Bethanien im Lukas-Evangelium, der Jesus und seine Lehren gegenüber den anderen Pharisäern verteidigte. Ob dieser mit Simon dem Aussätzigen bei Markus und Matthäus identisch ist, der vom Aussatz geheilt wurde, ist ebenfalls unklar. Diese Schnitzerei am Kanzelaufgang der Kirche in St-Maximin-la-Sainte-Baume zeigt Jesus beim Essen mit dem Pharisäer Simon. Eine "Sünderin aus der Stadt" weint Tränen auf Jesu Füße. Sie trocknet sie mit ihrem Haar und salbt sie mit kostbarem Nardenöl (Baldrian) aus einem Alabastergefäß (Lukas 7, 38), Maria Magdalena.
Jesus beim Pharisäer Simon von Bethanien, zu seinen Füßen Maria Magdalena

Oben der Himmel, unten die Hölle

Oben am Kreuz schaut ein Mann mit Kreuzaura und Siegesfahne hervor, der eine weitere kleinere Figur wie eine Puppe im Arm hält. Ich habe keine Erklärung dafür gefunden. Vielleicht soll die Männergestalt Gott darstellen. Rechts und links davon befinden sich die Symbole für Sonne und Mond.

Die Plattform mit der Kreuzabnahme-Szene wird getragen von einem nackten bärtigen Mann und einer weiteren, schwer erkennbaren Person. Es könnte sich um Adam und Eva handeln. Damit verschlungen ist eine tierartige Gestalt, die angeblich einen Drachen darstellen soll, oder auch den Walfisch des Jonas. Auch die Schlange aus dem Paradies könnte beteiligt sein. Leider ist das Relief im unteren Teil stark beschädigt, so dass genauere Deutungen schwierig sind. Nachdem es unter dem Erdboden angeordnet ist, halte ich es eher für eine Darstellung der  Hölle. Vielleicht stellte es sogar das Ringen von Jesus mit dem Teufel dar, aus dem er als Sieger hervorgeht. »Hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden...«.
Kreuzabnahme-Relief an den Externsteinen: Die Hölle