Treue und Verrat: RomanAleksandar Tisma
Gebundene Ausgabe
Treue und Verrat beschließt das großangelegte Romanprojekt Aleksandar Tismas. Nach Der Gebrauch des Menschen (1991), Die Schule der Gottlosigkeit (1993), Das Buch Blam (1995) und Kapo (1997) ist dieses Buch das fünfte, dessen Handlung in Novi Sad spielt, Tismas Heimatstadt in der serbischen Vielvölkerprovinz Wojwodina. Wie zuvor geht es auch hier um die Verstrickung von Individuum und Geschichte, um den Krieg (der Ideologien), ums Gewinnen und Verlieren. Und wieder steht Tismas Romanpersonal für die chauvinistischen politischen Konflikte auf dem Balkan, die aktueller nicht sein könnten. Zeitangaben sind in diesem Roman -- er spielt im Jahr 1962! -- so flüchtig, daß Tisma aus der seltsamen Zeitlosigkeit des Geschehens ein Kommentar zur Parallelität der Ideologien und Ismen macht. Hauptfigur ist Sergije Rudic, geboren 1924 (wie Tisma), Sohn einer Exilrussin aus gebildetem Hause und eines bürgerlichen Serben. Den ideologischen Widerspruch trägt Sergije also im Blut. Erst ist er, dessen Vater sein Vermögen der Hinterlassenschaft eines ermordeten Juden vedankt, Widerstandskämpfer gegen die Faschisten, am Schluß des Buches übernimmt er das eugenische Wahn-Vokabular, um seinen Freund Eugen zum Mord gegen einen hinkenden Widersacher aufzuwiegeln. Dessen Frau hat Sergije geschwängert, mit ihr will er leben, in ihr "seine Schöpfung" reifen lassen: "Die Kranken werden aufgeben, vernachlässigt, das ist das Gesetz jedes Kampfes, jeder Revolte. Und die nicht fallen wollen, wie Balthasar, müssen in den Abgrund gestoßen werden". Im Hinterkopf den Titel des Romans, den Tisma an vielen Stellen in Rückblicken erzählt, erwartet man, daß es auf eine Konfrontation mit Eugen hinausläuft. Der jüdische Literaturkenner ist überall gut gelitten, weil in seiner Welt der Bücher und Zitate Handeln und Schuld nur theoretische Größen sind. "Sag mal, Eugen", fährt Sergije ihn einmal an, "wie lange willst du so weitermachen? Ich meine, so nutzlos, ohne Beschäftigung, [..] ewig zwischen diesen Wälzern, die dir das Hirn aussaugen?". Am Ende dieser ungemein dicht konstruierten Geschichte steht die Frage nach Tat und Täterschaft. Wer ist (un)schuldiger? Der, der nichtstuend unschuldig bleibt, oder der, der Morde rechtfertigt, weil er das "Dahinvegetieren" verachtet? Tisma läßt die Kardinalfrage seines brillant erzählten und psychologisch tiefgründigen Romans offen. Die Antwort geht in der Donau unter, mit einer schweren Last am Hals. --Nikolaus Stemmer
|