Die Zukunft der ErinnerungGebundene Ausgabe
Was kommt dabei heraus, wenn man vier Zeitzeugen, darunter drei Literatur-Nobelpreisträger, an einem symbolträchtigen Erinnerungsort versammelt und sie über das Thema "Erinnerung" reden lässt? Ein außergewöhnliches Buch, in dem sich auf hohem literarischem Niveau subjektive Eindrücke zu einem Panorama der jüngeren Geschichte des Raumes zwischen Gdansk/Danzig und Vilnius/Wilna entfalten. Der Ort war gut gewählt: Wie Martin Wälde, der das Goethe-Institut in Vilnius leitet und der das Treffen organisierte, in seinem Vorwort bemerkt, "verkörpert Vilnius exemplarisch die politischen Tragödien und Verirrungen des zwanzigsten Jahrhunderts." Allein im diesem Jahrhundert wechselte die Stadt zehnmal ihre Machthaber. Wo sonst könnte man deshalb authentischer über Nationalismus und Vertreibung reden? Für ihn sei, so Günter Grass, Literatur-Nobelpreisträger von 1999, die verlorene Heimat Danzig immer noch "Anlass für zwanghaftes Erinnern, das heißt für Schreiben aus Obsession". Czeslaw Milosz wie auch Tomas Venclova stellen die Stadt in den Mittelpunkt. Man dürfe nie vergessen, so Milosz, dass man in Vilnius, diesem "kulturellen Amalgam", dem "Jerusalem des Nordens", wie die Stadt vor 1939 auch genannt wurde, am Grab von hunderttausend Juden stehe. So gerät das Buch auch zu einer eindringlichen Aufforderung, die Folgen von Totalitarismus und übersteigertem Nationalismus als Mahnung zu nehmen und dagegen anzukämpfen. Alle vier sprechen sich entschieden gegen die Strategie des Vergessens aus. "Der Schriftsteller", so Günter Grass in einer wohl nicht zu übertreffenden Bemerkung, "erinnert sich professionell. Als Erzähler ist er in dieser Disziplin trainiert. Er weiß, dass die Erinnerung eine oft zitierte Katze ist, die gestreichelt werden will, manchmal sogar gegen den Strich, bis es knistert: dann schnurrt sie." In diesem Buch ist das Schnurren der Erinnerung, wenn man denn nur etwas hinhört, deutlich zu vernehmen. --Dr. Manfred Schwarzmeier
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