Nicht nur zur Weihnachtszeit. Erzählungen.Heinrich Böll
Taschenbuch
Bölls "Weltkrieg-Zwo-Weihnachtsalbtraum", seiner Satiresammlung Doktor Murkes gesammeltes Schweigen entnommen, ist auch heute noch ein Krippen-Spiel der schrägsten Art. Vorfestliche Erregung im gut betuchten, großbürgerlichen Heim von Tante Milla, die das Schmücken des Baumes überwacht, dem Hauptakteur dieser Weihnachtsgroteske und Millas ein und alles. Gläserne Zwerglein dürfen in den Zweigen nun wieder mit winzigen Korkhämmerchen auf noch winzigere Glöckchen eindreschen. Hoch droben auf der Tannenspitze krächzt ein mechanisches Engelsmonstrum in regelmäßigen Abständen das Wörtchen "Frieden" in die Stube, frohe Kunde unerschütterlicher Krippenseligkeit in deutschen Wohnzimmern. Ringsum schlagen derweil die Bomben ein, der Erste Weltkrieg hat begonnen! Die Erschütterungen der nächtlichen Bombenangriffe bringen die putzigen Scheußlichkeiten so oft zu Fall, dass Onkel Franz beschließt, Weihnachten während der Kriegsjahre künftig baumlos zu verbringen ("fremdländische Ballistiker löschten seine Existenz vorübergehend aus"). Leider damit auch Tante Millas Lebenswillen. Eine bessere Wahl, als den sperrigen Kölner Ex-Regierungspräsidenten und heutigen Talkmaster Franz-Josef Antwerpes zum Erzähler -- dem Neffen der Tante -- zu machen, konnte man gar nicht treffen. Sein stoisch rheinischer Singsang entbehrt zwar jeglicher Sprecherprofessionalität, ist aber von einer schlitzohrigen Treuherzigkeit, die dieser Geschichte den echt kölschen Böll-Sound verleiht. In Millas Heim beginnt die eigentliche Katastrophe erst nach dem Krieg: Weihnachten 1945, der Baum steht wieder. Kaum aber schickt sich Onkel Franz am Dreikönigstag an, das Nadelgehölz zu entsorgen, verfällt Tante Milla angesichts des neuerlichen jähen Baumverlustes in einen wochenlang andauernden Schreikrampf. Neurologen werden bemüht, sogar einen Exorzisten zieht man in Erwägung, bis Onkel Franz schließlich die erlösende Idee hat. Tante Milla ist zufrieden, die Familie aber treibt unaufhaltsam Zerfall und Wahnsinn entgegen. Und ewig hämmern die Zwerge. Eine CD, Spieldauer: 63 Minuten. --Ravi Unger
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